Freitag, 26. Juni 2009

Offener Brief: Klarmachen zum Ändern!

Liebe Freunde und Verwandte,

der netzaffine Teil unter euch hat sicher mitbekommen, dass in der vergangenen Woche erstmalig seit 60 Jahren wieder eine Zensur in Deutschland beschlossen wurde.

Mit den Stimmen der großen Koalition und gegen die Stimmen der Opposition, allen Experten auf diesem Gebiet und 134.000 Menschen, die eine Petition dagegen unterschrieben haben, hat die Bundesregierung ein Gesetz verabschiedet, das unter dem Vorwand der Bekämpfung von Kinderpornografie die Errichtung einer Infrastruktur für Zensurmaßnahmen im Internet vorsieht. Das BKA führt eine geheime Liste mit Internetseiten, die einmal täglich an die Internet-Zugangsprovider in Deutschland übermittelt wird. Die Adressen auf dieser Liste müssen durch die Provider innerhalb weniger Stunden für den Zugriff durch die Kunden der Provider gesperrt werden, der Nutzer landet dann auf einer Seite mit einem großen STOP-Schild. Zugriffe auf gesperrte Seiten werden protokolliert und ggf. für die Strafverfolgung der Besucher verwendet.

Problematisch an dieser Stelle ist vor allem die Aufhebung der im Grundgesetz verankerten Gewaltenteilung: Es gibt keine richterliche Anordnung, das BKA entscheidet nach eigenem Gutdünken, welche Seite illegale Inhalte enthält und die Provider sind verpflichtet, die Seite für den Zugriff zu sperren. Der Inhaber einer solchen gesperrten Seite wird nicht informiert, ihm steht jedoch der Rechtsweg vor dem Verwaltungsgericht offen, um die Sperre aufheben zu lassen.

Natürlich könnte man dem BKA vertrauen und sagen: "Eine Zensur von Kinderpornografie ist schon in Ordnung, ihr werdet damit sicher keinen Unfug machen". Die Sperrlisten anderer europäischer Länder mit ähnlichen Gesetzen beweisen das Gegenteil; es werden auch Seiten gesperrt, die mit Kinderpornografie nichts zu tun haben.

Die Gegner des Gesetzes kritisieren die Nutzlosigkeit und die Verfassungswidrigkeit. Durch eine solche Sperre, die sich im Übrigen in wenigen Sekunden umgehen lässt, wird kein einziges Kind vor Missbrauch geschützt. Im Gegenteil: Die Täter werden durch eine Sperre gewarnt und können sich der Strafverfolgung entziehen. Kinderpornografie wird durch die Sperre nur verdeckt und nicht bekämpft. Die strafbaren Inhalte müssen gelöscht und nicht gesperrt werden. Aus diesem Grund sind auch Opferverbände gegen dieses Gesetz.

Das Gesetz ist verfassungswidrig, weil es die Gewaltenteilung aufhebt. Es verstößt gegen Artikel 5 des Grundgesetzes ("Eine Zensur findet nicht statt.") und nur wenige Stunden nach der Verabschiedung des Gesetzes forderten Politiker von CDU und SPD eine Ausweitung der Sperren auf andere Bereiche, z.B. Urheberrechtsverletzungen. Ist eine Infrastruktur für Zensur im Internet erst einmal aufgebaut, wird sie auch genutzt werden. Vielleicht nicht von dieser Bundesregierung, vielleicht aber von der nächsten oder der übernächsten.

Es gibt noch unendlich viel mehr zu diesem Gesetz zu schreiben, zusammenfassend verweise ich auf die sehr informative Seite http://ak-zensur.de/ und die Artikel unter [1], [2], [3] und [4] (siehe unten), die nur eine winzige Auswahl der Berichterstattung zum Thema darstellen. Seit Wochen gibt es in sämtlichen Online-Medien kein anderes Thema mehr. CDU und SPD sind mit ihrer internetfeindlichen Politik auf dem besten Weg dahin, sich für eine ganze Generation Menschen - die mit dem Internet groß geworden sind, damit umgehen können und es als Gewinn und nicht als Bedrohung betrachten - unwählbar zu machen.

Vor knapp 20 Jahren habe ich den Mauerfall als fast 9jähriger erlebt - da würde man meinen, dass man von Politik nicht viel mitbekommt, aber weit gefehlt. Ich hab damals Gedichte geschrieben und alles Wissen über Politik in mich aufgesogen, was ich nur kriegen konnte. Das Ende der DDR hat mich nachhaltig geprägt. Die Erkenntnis, dass Veränderungen immer möglich sind, wenn nur genügend Leute ein Ziel verfolgen hat mich schwer beeindruckt und bestimmt mein Leben nach wie vor. Damit komme ich zu meinem eigentlichen Anliegen.

In den letzten Jahren wurden die Grundrechte immer weiter eingeschränkt. Die Einführung der langfristigen Speicherung jeglicher Verbindungsdaten (E-Mail, Telefon etc.) und die beschriebene Errichtung einer Infrastruktur zur Zensur des Internets sind nur zwei Beispiele, die besonders das Internet betreffen. In diesem Zuge haben sich in ganz Europa (und darüber hinaus) von Schweden ausgehend "Piratenparteien" gegründet. Der Name "Piratenpartei" soll dabei mit Sicherheit provozieren, aber wenn ihr die Ziele der Partei lest [5], werdet ihr feststellen, dass es ausschließlich um ehrenwerte Anliegen geht. Freibeuter der Bürgerrechte sozusagen.

Die Piratenpartei besetzt die Themen, die alle anderen Parteien (auch Grüne, FDP und Linke) sträflich vernachlässigen. Die Piratenpartei steht für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und den freien Zugang zu Wissen und Kultur, die Bewahrung der Privatsphäre, Datenschutz und für Transparenz des Staatswesens.

In Schweden erreichte die Piratenpartei bei der Europawahl in diesem Jahr ein Ergebnis von 7% und gewann damit einen Sitz im EU-Parlament. In Deutschland waren es aus dem Stand heraus 0,9%, fast 250.000 Menschen haben die "Piraten" gewählt.

All diese Anliegen sind in den Augen vieler Menschen "Luxusprobleme". Wen interessieren Bürgerrechte, solange sie da sind. Sind sie aber erst mal weg, ist es zu spät für Protest. Die Piratenpartei hat keine Antworten auf Arbeitslosigkeit, Wirtschaftskrise oder den Kriegseinsatz in Afghanistan. Das braucht sie aber auch nicht. Die Piratenpartei wird auf absehbare Zeit keine Bundesregierung stellen und muss deshalb nicht das tun, was alle anderen Parteien tun: Themen besetzen, von denen sie keine Ahnung [6] haben.

Worum ich euch bitte: Um auch bei der Bundestagswahl im September dieses Jahres zugelassen zu werden, benötigt die Piratenpartei sogenannte Unterstützerunterschriften. Pro Bundesland sind (je nach Größe) rund 2.000 Unterstützerunterschriften notwendig. Eure Unterschrift bedeutet, dass ihr es für sinnvoll haltet, dass man die Piratenpartei bei der Bundestagswahl wählen kann. Ich bitte niemanden, die Partei zu wählen, auch wenn ich das für eine gute Idee halte. Ich bitte lediglich um diese Unterstützerunterschrift, damit alle Wähler bei der Bundestagswahl eine Option mehr haben, um aus ihrem Unmut ein (konstruktives) Kreuzchen zu machen.

Ich halte die Politik der großen Koaltion für verlogen, handwerklich schlecht und damit für völlig ungeeignet, _irgendein_ Problem zu lösen, das diese Gesellschaft hat. Die mit 134.000 Unterzeichnern erfolgreichste ePetition, die es je gegeben hat, wird seitens der Bundesregierung völlig ignoriert. Vertreter von CDU und SPD lügen ununterbrochen und verdrehen lautstark und wider besseren Wissens Zahlen und Fakten zur Kinderpornografie. Gegen jeden Sachverstand wird ein Gesetz durchgedrückt, das Kindesmissbrauch fördert statt ihn sinnvoll zu bekämpfen und diese Parteien wollen auch noch wieder gewählt werden. Dies würde ich gerne mit aller Kraft verhindern.

Formulare für Unterstützerunterschriften: http://ich.waehlepiraten.de/

Ich danke allen, die diese lange E-Mail gelesen haben und mein Anliegen ernst nehmen. Die Piratenpartei hat - trotz ihres absurden Namens - eine ernsthafte Chance verdient, in den nächsten Bundestag gewählt zu werden. Als Kind habe ich miterlebt, wie ein Unrechtsstaat zugrunde ging, weil er die Bedürfnisse des Volkes zu lange ignoriert hat und es irgendwann zu viele Menschen gab, die sich gegen die Missstände gewehrt haben. 20 Jahre später versuche ich, selbst daran mitzuwirken, dass aus der BRD kein Unrechtsstaat wird. Deshalb unterstütze ich die Piraten.

Falls ihr Anmerkungen oder Fragen habt, lasst es mich bitte wissen.

[1] Die dreizehn Lügen der Zensursula:
http://netzpolitik.org/2009/die-dreizehn-luegen-der-zensursula

[2] Die Generation C64 schlägt zurück:
http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,628017,00.html

[3] Wen interessiert schon Fachwissen:
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/30/30435/1.html

[4] Schadensbegrenzung - Warum die geplante Kinderporno-Sperre nicht Gesetz werden darf:
http://www.heise.de/ct/Warum-die-geplante-Kinderporno-Sperre-nicht-Gesetz-werden-darf--/artikel/138426

[5] Ziele der Piratenpartei:
http://www.piratenpartei.de/navigation/politik/unsere-ziele

[6] Die Bundesregierung hat keine Kenntnis, will aber sperren:
http://blog.odem.org/2009/06/bundesregierung-keine-kenntnis.html

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