Mittwoch, 5. Dezember 2007

Methoden der Datenerhebung – in Farbe und bunt!

Am Montag bin ich mal wieder Zug gefahren und habe etwas gelernt. Nämlich wie man's nicht macht. Glaube ich zumindest. Zwei mittelalte Frauen liefen im 10-Minuten-Takt durch den Wagen und suchten nach Beförderungsfällen, die gerade eingestiegen waren, um sie einer Befragung zu unterziehen. Der Text lautete etwa so: "Hallo, Deutsche Bahn Kundenservice, wir führen eine Befragung zur Kundenzufriedenheit durch, würden Sie daran teilnehmen?" Der durchschnittliche Fahrgast sagt erst einmal "ja", die meisten von uns dürften zumindest die latente Hoffnung haben, dass die Ergebnisse solcher Befragungen wirklich einen Einfluss auf das Produkt Bahn haben.

Doch beim nächsten Satz änderte sich die Bereitschaft zur Auskunft schlagartig – zumindest bei einigen Fahrgästen. "Wir erfassen hier nur die Fahrgäste, die eigentliche Befragung führt INFAS nach Abschluss Ihrer Reise telefonisch durch. Bitte nennen Sie mir Ihren Namen und Ihre Telefonnummer". Ja nee is klar.

Jetzt gab es zwei Gruppen von Antwortenden: Die jenigen, die das freundliche Angebot sofort und ohne zu zögern ablehnten und diejenigen, die mit ebensolcher Vehemenz bereitwillig die Daten herausgaben und vermutlich vor Aufregung nicht mehr schlafen können, bis INFAS endlich angerufen hat. Im ganzen Wagen habe ich von einem einzigen Fahrgast mitbekommen, dass er gefragt hat, was INFAS mit den Daten noch so anstellen würde.

Für mich als angehenden Soziologen stellen sich dabei ein paar Fragen: Sind Umfrageergebnisse, die auf diese Weise zusammenkommen auch nur halbwegs repräsentativ für die Gruppe der Fahrgäste? Was kennzeichnet die Gruppe der Datenverweigerer und der Datenbereitwillighergeber? INFAS führt sicher nicht die erste Befragung dieser Art durch – ist denen klar, wie verfälscht solche Ergebnisse aufgrund des Verfahrens möglicherweise sein könnten? Was gibt es für Gründe, die Befragung nicht direkt im Zug durchzuführen – sind die Callcenter-Befrager vielleicht besser geschult? Fragen über Fragen.

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Fry (Gast) - 6. Dez, 10:58

ziel der datenerhebung ist ja bestimmt nicht, dass für die bahn irgendwas negatives dabei heraus. Von daher ist es ja egal wie die daten erhoben werden. ;)

little-erdhoernchen (Gast) - 13. Dez, 20:46

wer oder was ist INFAS eigentlich? ich hätte den ganzen mist wahrscheinlich auch abgelehnt...ist ja auch das einzig vernünftige, was man tun kann...oder? :)
hasenscharte (Gast) - 6. Apr, 09:19

das ist hier die Frage

Hallo,

gute Fragen:

> Sind Umfrageergebnisse, die auf diese Weise zusammenkommen auch nur halbwegs repräsentativ für die Gruppe der Fahrgäste?
> ist denen klar, wie verfälscht solche Ergebnisse aufgrund des Verfahrens möglicherweise sein könnten

Kommt darauf an, wie die Fahrgäste ausgewählt wurden. Wenn die Leute zufällig im Zug nach einem Zufallsverfahren ausgewählt wurden (bspw. jede 3. Reihe), kann das durchaus repräsentativ sein (Inferenzstatistik I, das lernt man im Soziologiestudium). Ob die Daten repräsentativ sind, kommt aber darauf an, ob es sogenannte Selektivitätseffekte gibt (bspw. ob nur junge Leute antworten). Das wird aber in seriösen Instituten alles geprüft (woher ich das weiss? Siehe unten!).

> Was gibt es für Gründe, die Befragung nicht direkt im Zug durchzuführen

Vielleicht, wenn die Befragung länger ist, als die durchschnittliche Reisezeit. Nimm an, dass die Befragung 30 Minuten dauert, Dein Weg aber nur 20 Minuten dauert (bspw. von Berlin Hbf nach Potsdam). Dann könnten Leute, die nur eine kurze Strecke fahren nicht an der Befragung teilnehmen und die Stichprobe wäre nicht mehr repräsentativ (für ALLE Bahnkunden). Zack, so schnell kann's gehen. Darum macht man das so.

Ich habe selbst in dem Bereich gearbeitet und kann nur sagen, dass alle verschwörungstheoretischen Ansätze ("die wollen doch gar nichts schlechtes wissen", "die machen böse Sachen mit unseren Daten", "die sind alle zu dumm, um richtige Umfragen durchzuführen", "glaube nie einer Statistik, die Du nicht selbst...") ziemlicher Unsinn sind. In der Tat sind die Kunden (wie hier die Bahn) sehr daran interessiert, herauszufinden wo ihre Probleme liegen; einfach um mehr Profit zu machen (mehr Leute in die Züge zu bekommen). Umfragen sind extrem teuer, das Geld wird nicht einfach in halbseidene Phantasiedaten gesteckt, die sagen, das alles gut ist. Die Kunden wissen meist selbst, das sie Probleme haben, wissen aber nicht genau, welche und wie sie die anpacken können.

Im übrigen: Interviewer haben immer einen Ausweis mit einer Telefonnummer dabei, über die man mehr über die Studie erfahren und sicherstellen kann, dass die Studie auch wirklich von dem Institut durchgeführt wird (Schlawiner, die vorgeben, eine Studie durchzuführen, gibts immer, also Ausweis zeigen lassen und Fragen, was mit den Daten geschieht!).
Übrigens: Alle gesammelten Daten in Marktforschungsstudien unterliegen dem Datenschutzgesetz, Deine Daten werden also nicht weiterverkauft oder was man sich sonst so vorstellt (das erledigst Du selbst, wenn Du bei irgendwelchen Verträgen das kleine Kästchen "ich bin einverstanden mit der Weitergabe personenbezogener Daten an Partner und Dritte" nicht durchstreichst).
Also, wenn Du das nächste Mal eine Umfrage siehst, nicht gleich auf Paranoia schalten. Twoday / Facebook / Google / Amazon weiss mehr über Dich als INFAS, kannst Du drauf wetten.

Liebe Grüße

Hasenscharte

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